Stammersdorf – wo die Oma herkommt und der Wein gut schmeckt
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Mit Heurigenglossar

Meine mütterliche Großmutter, die Weber-Omi, kam aus Stammersdorf, genau gesagt, aus der Luckenschwemm, wie sie immer gesagt hat. Die Luckenschwemmgasse führt heute von den Neubausiedlungen entlang der Brünner Straße bis in den Kern von Stammersdorf, jenem Dorf, das erst 1938 in den 21. Bezirk (Floridsdorf) eingemeindet wurde. Die Nationalsozialisten haben damals „Groß Wien“ geschaffen und die Omi war 17 und hat wahrscheinlich nicht mehr bei ihren Eltern und fünf Geschwistern gewohnt. Eigentlich waren es sieben Kinder, doch der einzige Sohn kam aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr zurück.
Die Verhältnisse waren, wie man so sagt, „klein“. Der Vater, mein Urgroßvater, den ich nicht mehr kennengelernt habe, war Weingartenwächter. Seine Aufgabe war es, auf den Weinberg zu achten, Traubendiebstähle zu verhindern und Vögel zu vertreiben. In Wikipedia kann ich nachlesen:

„Bei der Auswahl der Weingartenhüter achtete man in österreichischen Weinorten darauf, dass es sich um „rechtschaffene“ Männer handelte. Weiters sollten sich diese im Weingebirge gut auskennen. Eine weitere Anforderung für deren Auswahl war eine gute körperliche Kondition.“

Heute ist Stammersdorf ein charmanter Bezirksteil, sozialer Wohnbau findet sich neben den ordnetlichen kleinbürgerlichen und bürgerlichen Häusern der Winzerfamilien und an manchen Stellen taucht ein modernes Einfamilienhaus auf. Alles in allem ist der Charakter dörflich und am Image des traditionellen Weinortes ausgerichtet. Die Stammersdorfer Kellergasse ist – so finde nicht nur ich als quasi von dort Herstammende – die schönste in Wien, jedenfalls die ursprünglichste und gemütlichste. An ihr gibt es bis heute traditionelle kleine Heurige mit Gewölben und Terrassen über alten Kellern, deren Aussteckzeiten man im Stammersdorfer Heurigenkalender online findet.

Die Stammersdorfer Weingärten liegen am Fuß des Bisambergs und es gedeihen hier Rot- und Weißweine, darunter die typischen Wiener Heurigensorten Grüner Veltliner und Gemischter Satz.

Der Gemischte Satz …

… ist eine Wiener Spezialität, die es seit dem 19. Jahrhundert gibt. Damals wurden Sorten wie Riesling, Weißburgunder und Traminer zusammen mit anderen Weißweinsorten im Weingarten gemischt ausgepflanzt und die Trauben nach der Lese im Weinkeller gemeinsam verarbeitet. Dadurch entstanden Weine mit sehr vielschichtigem Geschmack.

Gleichzeitig half diese Art der Anpflanzung totale Ernteausfälle zu vermeiden, da sich schlechte Wetterbedingungen zur Blühzeit einer Sorte durch das bessere Gedeihen einer anderen Rebsorte ausgleichen ließen. Als später der reinsortige Anbau als Methode der Wahl galt, wurde der Gemischte Satz als minder relevant und attraktiv eingestuft. Das änderte sich vor einigen Jahrzehnten, und heute gilt der Wiener Gemischte Satz als eine identitätsstiftende Sorte für den Wiener Wein und Weinbau.

Außer zum Weintrinken komme ich häufig zum Spazierengehen nach Stammersdorf und auf den Bisamberg. Mit dem Hund. Ich liebe nämlich Kulturlandschaften und die Kombination aus freiem Blick und über lange Zeit gewachsenen Baustrukturen. Und der Hund muss mit.
Es lässt sich dort zwischen den Weingärten spazieren, die durch die Veränderung der Jahreszeiten ab dem Frühling nahezu wöchentlich anders aussehen. Neben der bereits erwähnten Stammersdorfer Kellergasse gibt es noch weitere Gassen und Hohlwege, die von Weinkellern gesäumt sind und vor allem an Sommermorgen angenehm kühle Spaziergänge ermöglichen.

Stammersdorf lässt sich übrigens mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen. Schon im Jahr 1886 verkehrte einer Dampftramway auf der Strecke „Wien – Floridsdorf – Stammersdorf“. Heute legt die Straßenbahnlinie 31 den Weg aus der Innenstadt nach Floridsdorf in 36 Minuten zurück. Mit Umsteigemöglichkeit am Bahnhof Floridsdorf, wo es Anschluss zum U-Bahn- und Schnellbahnnetz gibt. Von der Straßenbahnstation an der Brünner Straße sind es knapp 20 Gehminuten bis zur Kellergasse, die ihre ganze Schönheit sowieso nur Fußgängerinnen und Fußgängern erschließt. Diese haben noch dazu die Freude, auf dem Weg durch die Gasse gleich bei dem einen oder anderen offenen Heurigen einkehren zu können.
Wer die Wiener Weinkultur abseits großer Betriebe und touristischer Hotspots kennenlernen will, ist mit einem solchen Ausflug am besten beraten. Gern begleite ich dich bei dieser Entdeckungstour.

Heurigenglossar

Heuriger


„Heuriger“ heißt in Wien der Wein der jeweils letzten Ernte. Außerdem nennen wir so die von Weinbauern betriebenen Lokale, in denen diese ihren eigenen Wein ausschenken und dazu auch Speisen reichen dürfen. Ursprünglich waren das nur kalte Speisen. Heute haben fast alle Heurigenlokale auch warme Gerichte im Angebot. Bei manchen kleinen Heurigen ist aber nach wie vor nur ein kaltes Buffet vorhanden

Ausgsteckt


Dass Winzer ihren heurigen Wein ausgeschenkt und darauf mit einem über die Kellertür gehängten Reisigbüschel aufmerksam gemacht haben – man sagte und sagt dazu, sie haben „ausgesteckt“ – ist schon seit dem 15.Jahrhundert überliefert. Unter Kaiser Joseph II wurde Ende des 18. Jahrhundert den Weinbauern erlaubt, Wein und Most auszuschenken und selbst erzeugte Lebensmittel zu verkaufen. Daraus sind viele kleine Lokale in den Vorstädten und Vororten entstanden, die von den Wienerinnen und Wienern allezeit gern besucht wurden. Heute gibt es in Wien etwa 100 Heurigenbetriebe.

Achtel, Viertel, halber Liter…

Die traditionelle Bestellung beim Heurigen ist das Viertel, also 0,25 Liter Wein, sofern nicht gleich für den ganzen Tisch gemeinsam ein halber Liter oder Liter bestellt wird. Meistens handelt es sich dabei um die einfacheren Schankweinsorten, die nicht näher benannt werden. Wir bestellen also „einen Liter Weißen“. Durch die Entwicklung des Wiener Weinbaus in Richtung Qualitätswein ist es durchaus üblich geworden, auch beim Heurigen sortenreine Weine glasweise, also als „Achtel“ = 0,125 Liter zu bestellen. Wiener Weintrinkerinnen und -trinker verwenden dabei häufig liebevoll-genießerisch die Verkleinerungsform „Achterl“.

Kracherl

Das klassische Kindergetränk beim Heurigen, prickelnde Limonade, hieß früher Kracherl und war in weiß (Zitrone) und rot (Himbeer) zu haben. Der Name „Kracherl“ kommt wahrscheinlich vom ursprünglichen Verschluss, der beim Öffnen durch das Entweichen der Kohlensäure ein „krachendes“ Geräusch gemacht hat. Meine Lieblingsmarke war das rote Rax-Kracherl, das ein Edelweiß auf dem Etikett geziert hat – an den niederösterreichischen Berg mit dem Namen Rax erinnernd.

Gspritzter


Sehr beliebtes und nahezu legendäres Getränk in Wien. Meistens weiß, viel seltener rot: Wein mit Sodawasser im Verhältnis 1:1 gemischt („aufgespritzt“). Als „Sommerspritzer“ noch mehr verdünnt: Wein zu Wasser 1:3 und in Halblitergröße.

Soda

Eigentlich Sodawasser: mit Kohlensäure angereichertes Wasser. Zur Herstellung eines Gspritzten unerlässlich. Erfrischend auch in der Mischung mit Traubensaft, Apfelsaft etc. Letzteres wird in Wien „Obi gespritzt“ genannt, worin sich ein alter Markennamen für Apfelsaft erhalten hat.

Martini

Der 11. November, Sankt Martin, ist jener „Lostag“, an dem der Wein vom Vorjahr als „alt“ bezeichnet und der frisch gekelterte „Heurige“ ausgeschenkt wird. Der wird dann sehr gern zur traditionellen Martinigans getrunken.

Liptauer


Liptauer ist „der“ Snack beim Heurigen. Der orangefarbene Aufstrich, der klassisch mit Schafstopfen (Brimsen), Paprika, Zwiebel und Kümmel zubereitet und mit Sardellen, Kapern und Senf abgeschmeckt wird, kommt entweder in der Gestalt eines Liptauerbrots zu Tisch oder er wird in einem Schüsselchen serviert, aus dem er mit Hilfe von Soletti – siehe unten – genascht wird.

Soletti


Soletti sind dünne Salzstangen, die Teig und Geschmack mit Salzbrezeln teilen. Soletti ist der Markenname dieses salzigen Snacks, der 1949 von der Bäckerei Zach in Feldbach in der Steiermark erfunden wurde und bis heute zu jedem Heurigenbesuch und jeder Party gehört. Wir verwenden „Soletti“ in Wien als Synonym für jedes Salzgebäck in Solettiform 😉

Grammelschmalz und Bradlfettn


Fettes Essen verlangsamt die Aufnahme von Alkohol ins Blut. Wahrscheinlich sind deshalb deftige Imbisse beim Heurigen so beliebt. Schmalz ist geschmolzenes Fett von Schweinen (aber auch von Gänsen), das als Brotaufstrich genossen werden kann. Grammelschmalz enthält Reste der angebratenen Speckteile, die sogenannten Grammeln, die von Liebhaber*innen reichlich gesalzen auch als eigener Imbiss genossen werden. 
Bratenfett – wir sagen in Wien „Bradlfettn“ dazu – entsteht als Nebenprodukt bei der Herstellung eines Schweinebratens und setzt sich aus Schmalz und geliertem Bratensaft zusammen. Beides kommt vermischt miteinander aufs Brot.

Pischinger


Schon wieder ein Markenname, der sich selbstständig gemacht hat. Gemeint sind damit schokoladeüberzogene Waffeln der Firma Pischinger, die bereits 1842 in Wien gegründet wurde. Die „Pischinger Torte“ eine große Runde Waffel (als Oblaten- und als Haselnusstorte im Handel), gibt es seit 1880 und sie bildet traditionell das von der Tischgesellschaft gemeinschaftlich verzehrte „Dessert“ eines Heurigenmenüs. Man kann Pischinger Torten auch im Supermarkt kaufen und daheim essen, aber irgendwie fühlt sich das nicht richtig an.

Grüner Veltliner,
Gemischter Satz und Co.


Grüner Veltliner und Gemischter Satz sind die Klassiker unter den Wiener Weinsorten. Der Wiener Weinbau ist allerdings vielfältiger als das und es lohnt sich, sich nach den Spezialitäten des jeweiligen Winzers zu erkundigen und mehrere Sorten zu kosten.
Zum Wiener Wein findet sich mehr Information hier: https://www.wienerwein.at

0,5 Promille


In Österreich gelten 0,5 Promille Alkoholgehalt im Blut als Höchstgrenze für das Lenken eines Fahrzeugs (Achtung: gilt auch für Fahrräder). Abgesehen davon, dass alkoholisiertes Lenken eine große Gefahr für alle Verkehrsteilnehmer*innen darstellt, wird es auch mit Strafen belegt und in schweren Fällen wird der Führerschein entzogen. Für einen entspannten Besuch beim Heurigen gilt daher „Don’t drink and drive“! Die Heurigenorte in Wien sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar und manchmal ist ein Taxi für den Heimweg einfach die beste Idee. Prost!

Dr. in. Karin Eichhorn-Thanhoffer

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